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Ivan Fučík | October 22, 2018

Rechtsmissbrauch in Steuersachen

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Das Steuerrecht und die Abgabenordnung enthalten derzeit explizit weder eine allgemeine Regel gegen den Rechtsmissbrauch noch eine allgemeine Regel gegen den Missbrauch des Steuersystems, wie dies die bereits angenommene Richtlinie des EU-Rates ATAD fordert.

Zusammen mit der Umsetzung weiterer Maßnahmen gegen eine aggressive Steuerplanung, die in die tschechische Steuergesetzgebung im Zusammenhang mit der ATAD-Richtlinie eingeführt werden, wird vorgeschlagen, in die tschechische Abgabenordnung einen neuen Absatz 4 in den § 8 einzuführen, der wie folgt lautet:

"(4) bei der Steuerverwaltung werden kein Rechtsakt oder andere für die Steuerverwaltung maßgebliche Fakten berücksichtigt, deren überwiegender Zweck ein steuerlicher Vorteil ist, der im Widerspruch zum Sinn und Zweck einer steuerrechtlichen Vorschrift ist.“

Zur gleichen Zeit wird vorgeschlagen, den § 92, Abs. 5, Buchst. f) zu ergänzen, auf dessen Grundlage die Steuerverwaltung bei Beweisen jetzt auch folgendes nachweisen wird:

„f) die Tatsachen, die für die Beurteilung des Zweckes der Rechtshandlung entscheidend sind und andere für die Steuerverwaltung entscheidende Tatsachen, deren überwiegender Zweck die Gewinnung eines steuerlichen Vorteils im Widerspruch zum Sinn und Zweck der steuerlichen Rechtsvorschrift ist.“

Die Begründung der Novelle der Abgabenordnung erinnert an die Tatsache, dass die Abgabenordnung bereits jetzt den Grundsatz des Vorrangs des Inhalts vor der Rechtsform, die sich mit der den Missbrauch verbietenden Regel überschneidet, enthält. Die Begründung verweist auch auf die Tatsache, dass die tschechische Rechtslehre das Institut des Rechtsmissbrauchs kennt. Dieses Institut wird in der steuerlichen Praxis verwendet, und es wird auch seitens der Steuerverwaltungen in der Bekämpfung der Steuervermeidungspraktiken verwendet. Zu diesem Thema gibt es eine Reihe von Rechtsprechung, sowohl der tschechischen, als auch des EuGH im Bereich der direkten und indirekten Steuern.

Das berühmteste Urteil des EuGH, das von anderen Gerichten in der Tschechischen Republik verwendet wird, ist das Halifax-Urteil des EuGH. Hier hat der EuGH das erste Mal die Kriterien des Rechtsmissbrauchs im Bereich der Mehrwertsteuer definiert. Diese Kriterien des Rechtsmissbrauchs, die im genannten Urteil definiert wurden, hat er nachfolgend auch in den nicht harmonisierten Bereich der direkten Steuern übertragen, und zwar mittels des Urteils vom 12. September 2006 in der Rechtssache C-196/04 (Cadbury Schweppes). Der Rechtsmissbrauch tritt nach dem in den genannten Urteilen des EuGH angewandten Test ein, wenn (i) „der Hauptzweck der jeweiligen Leistungen eine steuerliche Begünstigung ist“, wobei (ii) deren „Gewährung im Widerspruch zu dem durch diese Rechtsvorschriften verfolgten Ziel wäre“. Die in der Rechtsprechung des EuGH genannten Prinzipien werden auch in den Urteilen des tschechischen Obersten Verfassungsgerichts und des tschechischen Verfassungsgerichts angewandt. Spezifische Urteile werden auch in der Begründung der Novelle der tschechischen Abgabenordung zitiert.

Unter dem Rechtsmissbrauch wird die Situation verstanden, wenn jemand sein subjektives Recht zum unbegründeten Schaden eines anderen oder der Gesellschaft ausübt. Dieses Verhalten, wodurch scheinbar Unerlaubtes erreicht wird, ist nur scheinbar erlaubt. Um ein lediglich scheinbar erlaubtes Verhalten handelt es sich, da das objektive Recht das zur gleichen Zeit Erlaubte und Unerlaubte nicht kennt. Da aus dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali folgt, dass das Verbot des Rechtsmissbrauchs stärker als das durch das Recht Erlaubte ist, ist dieses Verhalten keine Rechtsausübung, sondern ein rechtswidriges Verhalten.

Was folgt für die Steuerpflichtigen aus der vorgeschlagenen Novelle der tschechischen Abgabenordnung?

Damit eine bestimmte Handlung als Rechtsmissbrauch eingestuft wird, müsste sie unter anderem im Widerspruch zum durch die Rechtsvorschriften verfolgten Ziel steehen. Die Gerichte haben bestimmte Situationen danach beurteilt, ob das Handeln des Steuerpflichtigen im Widerspruch zum System und zu Prinzipien der Funktionsweise der Gesellschaft, zur Sicherstellung deren Reproduktion, zu deren Werten, zu den allgemeinen Gesellschaftsinteressen und zu der angemessenen Gestaltung der Beziehungen in der Gesellschaft war. Die Erhebung von Steuern ist unbestritten ein bedeutendes Interesse und ein Prinzip, auf dem das Prinzip des Funktionierens der Gesellschaft aufgebaut ist. Wenn das Handeln im Widerspruch zu diesen Prinzipien, im Widerspruch zu der angemessenen Gestaltung der Gesellschaft war, handelt es sich um einen Rechtsmissbrauch.

Nach der neuen Gesetzgebung reicht ein Widerspruch zu dem Sinn und Zweck des Steuerrechts. Der Zweck des Steuerrechts ist, wie wir alle wissen, die Erhebung von Steuern. Ich weise darauf hin, dass der Erhebung von Steuern fair sein muss und dass die tschechische Abgabenordnung in erster Linie den Grundsatz verankert, dass Steuern in fairer Höhe erhoben werden sollen. In der Praxis betrachtet die Steuerverwaltung die richtige Höhe jedoch oft anders als der Steuerpflichtige.

Ein weiterer Schlüsselbegriff ist der „überwiegende Zweck des Handelns“. Auch hier ist die Perspektive der Steuerverwaltungen sicher anders. Das Nachweisen des Zwecks der Transaktion wird daher eine weitere Anforderung an den Steuerpflichtigen sein. Das Beurteilen dessen, was der überwiegende Zweck einer Transaktion ist, in dem Fall, wenn die Steuerbelastung gemindert wird, wird dann eine gute Tat- und eine rechtliche Analyse und das Durchdenken der ganzen Transaktion fordern. Natürlich lieber ex ante als ex post.

In jedem Fall muss damit gerechnet werden, dass die Novelle den Finanzbehörden eine „Waffe“ gibt, die sie sicherlich in der Bekämpfung der Steuervermeidungspraktiken verwenden. Darauf können wir uns freuen. 

Ivan Fučík