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Lenka Kočerová | September 26, 2023

NSS zur Frage der Erneuerung eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens auf der Grundlage von Informationen aus einem internationalen Ersuchen, auf dessen Ergebnisse die Steuerverwaltung nicht gewartet hat.

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Wir möchten Sie auf ein interessantes Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts (NSS-Gericht), Az. 8 Afs 78/2022 - 39 vom 31. August 2023 aufmerksam machen.

Im vorliegenden Fall richtete die Berufungsfinanzdirektion (OFŘ) im Zuge des Berufungsverfahrens des Klägers gegen nachträgliche Steuerbescheide am 27., 29., und 30. 11. 2018 insgesamt acht Anträge auf internationale Zusammenarbeit (Informationsaustausch) an die Slowakei, bestehend aus der Befragung von acht Zeugen. Allerdings hat die OFŘ im Interesse der angeblichen Wirtschaftlichkeit des Verfahrens nicht die Ergebnisse des internationalen Ersuchens abgewartet und bereits am 4. 12. 2018, wenige Tage nach Einreichung der einzelnen Anträge, traf sie eine endgültige Entscheidung über die Berufung.

Nachdem von Januar bis Mai 2019 Antworten auf das internationale Ersuchen (Zeugenvernehmung) eingegangen sind, hat das Finanzamt bei der OFŘ einen Antrag auf Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt. OFŘ ordnete die Wiederaufnahme der rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren an, da ihrer Meinung nach die Voraussetzungen der Bestimmungen § 117 Abs. 1 Buchst. a) Abgabenordnung (Gesetz Nr. 280/2009 Slg.) erfüllt waren, wonach es gilt: „Das Verfahren, das durch eine rechtskräftige Entscheidung der Steuerverwaltung beendet wurde, wird auf Antrag des Empfängers der Entscheidung oder von Amts wegen wieder aufgenommen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die ohne Verschulden des Empfängers der Entscheidung oder der Steuerverwaltung im Verfahren nicht früher hätten angewendet werden können und die erheblichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung hätten haben können.“ Die Generalfinanzdirektion bestätigte die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens bezüglich der Berufung des Klägers.

Das NSS-Gericht war mit diesem Vorgehen jedoch nicht einverstanden. Dabei verwies es vor allem auf seine frühere Rechtsprechung (Urteil Az. 9 Afs 69/2011 - 46 vom 4. Oktober 2012), in dem es sich bereits mit einem ähnlichen Sachverhalt befasste und in dem es die allgemeine Prämisse zum Ausdruck brachte, dass es notwendig sei, die Ergebnisse des internationalen Ersuchens abzuwarten, es sei denn, es liegen zwingende Gründe vor, etwas anderes zu tun/ ein gegensätzliches Verfahren zu wählen. Die Pflicht des Steuerverwalters besteht darin, diese schwerwiegenden Gründe im Hinblick auf die individuellen Umstände des zu besprechenden Falles zu ermitteln und überzeugend darzulegen.

Im vorliegenden Fall hat die OFŘ-Direktion jedoch keine derartigen konkreten, besonders schwerwiegenden Gründe für ihr Vorgehen angegeben oder beschrieben. Wenn gleichzeitig ein internationales Ersuchen normalerweise mehrere Monate dauert, stellen nur vier bis sieben Tage zwischen seiner Einleitung und Beendigung des ursprünglichen Verfahrens aus Sicht des NSS-Gerichts einen äußerst kurzen Zeitraum dar, wofür es im Wesentlichen erforderlich ist, Vorliegen äußerst schwerwiegender Gründe für ein solches Vorgehen zu begründen.

Das NSS-Gericht erklärte Folgendes:

  • Die von der OFŘ-Direktion genannten Gründe für das gegebene Verfahren sind so allgemein und unspezifisch, sie erwähnen lediglich den hohen Zeitaufwand bei Umsetzung eines internationalen Ersuchens, was jedoch einem internationalen Ersuchen innewohnt - dass sie jedoch nicht
    als ausreichend akzeptiert werden können;
  • Passivität des Steuersubjekts oder die Tatsache, dass es erst am Ende des Steuerverfahrens Beweisvorschläge gemacht hat, können kein äußerst schwerwiegender Grund sein, denn für die Führung und den Ablauf des Steuerverfahrens sind gerade die Finanzbehörden verantwortlich, daher sind etwaige Verzögerungen zu deren Belastung hinzuzurechnen (NSS-Urteil Az. 7 Afs 241/2019-52 vom 17. Juni 2021, Pkt. 28);
  • Die OFŘ-Direktion hat dann in ihrem Verfahren nicht berücksichtigt, dass als Nachbarstaat die Slowakei angefragt wurde, die in der Regel deutlich kürzer antwortet als andere Staaten, beispielsweise Italien (z.B. NSS-Urteil vom 7. 2. 2019, Az. 7 Afs 288/2017-36, Pkt. 2), Frankreich (NSS-Urteil vom 25. 6. 2020, Az. 9 Afs 108/2020-49, Pkt. 24 und 25) oder Ukraine (NSS-Urteil vom 19. 9. 2022, Az. 2 Afs 190/2021-74, Pkt. 6), was der Finanzverwaltung aus behördlicher Tätigkeit bekannt sein muss.

Das NSS-Gericht kam zum folgenden Schluss: „die Steuerbehörden angesichts der besonderen Umstände des jetzt besprochenen Falles haben wirklich keine ausreichend schwerwiegenden Gründe nachgewiesen, die das Verfahren der Berufungsfinanzdirektion rechtfertigen würden, das ursprüngliche Verfahren einzustellen und anschließend seine Erneuerung anzuordnen. Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts wurden die neuen Tatsachen aus dem internationalen Ersuchen aufgrund der bewussten Vorgehensweise der Berufungsfinanzdirektion nicht früher im ursprünglichen Verfahren berücksichtigt. Das Vorstehende ändert nichts an der Tatsache, dass die Berufungsfinanzdirektion bereits in der Aufhebungs- und Änderungsentscheidung dargelegt hat, dass die Ergebnisse einer großen Anzahl angeforderter Vernehmungen in Zukunft ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens sein könnten. Zur Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens müssen nämlich die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen, d.h. hier § 117 Absatz 1 Buchst. a) der Abgabenordnung, erfüllt sein, unter Berücksichtigung deren Auslegung durch die Verwaltungsgerichte. Diese Voraussetzungen wurden jedoch im vorliegenden Fall nicht erfüllt.“

Abschließend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer (erst) in seiner Kassationsbeschwerde eingeräumt hat, dass die drohende Präklusion (zumindest) einer der Gründe für die Einstellung der ursprünglichen Verfahren war. Das NSS hat diese Umstände jedoch nicht als Grund für die Einstellung der ursprünglichen Verfahren und die anschließende Wiederaufnahme des Verfahrens berücksichtigt, denn: „Es ist jedoch nicht möglich, die Mängel von Verwaltungsentscheidungen nachträglich durch detailliertere Sach- und Rechtsargumentation, die erst im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vorgebracht werden, zusätzlich zu heilen (NSS-Urteil vom 30. 11. 2022, Az. 8 Ads 111/2021-46, Pkt. 42 und weitere dort zitierte Rechtsprechung).“

Autor: Lenka Kočerová, Jaroslava Půtová